Charlotte Bühler
(* 20. Dezember 1893 in Berlin; † 3. Februar 1974 in Stuttgart)
Charlotte Bühler ist eine der bedeutendsten Psychologinnen des 20. Jahrhunderts und gilt als Begründerin der modernen Entwicklungspsychologie.
Sie wird als Charlotte Malachowski 1893 in Berlin geboren. Bereits als Jugendliche entdeckt sie ihr Interesse für die Psychologie: Sie beschäftigt sich mit Kant und Ebbinghaus sowie mit der Frage nach der Rolle und dem Zweck des menschlichen Daseins. 1913 beginnt sie ihre Studien der Natur- und Geisteswissenschaften in Freiburg, Berlin und später in München. Dort lernt sie den Universitätslehrer und Sprach-psychologen Karl Bühler kennen, den sie 1916 heiratet. Ihrer fast 50-jährigen Ehe entstammen zwei Kinder (Ingeborg 1917, Rolf Dietrich 1919).
Ab 1915 arbeitet Charlotte Bühler unter Külpe an ihrer Dissertation „Über Gedankenentstehung“ in der Tradition der „Würzburger Schule“. 1918 erwirbt sie das Doktorat in Philosophie in München. Im selben Jahr zieht sie mit ihrer Familie nach Dresden und bereitet ihre Habilitationsschrift vor. 1920 erhält sie die venia legendi für „Ästhetik und pädagogische Psychologie“ an der TH Dresden. Dort setzt sie sich bereits intensiv mit der Kinder- und Jugendpsychologie auseinander. Im Rahmen ihrer Untersuchungen krimineller Jugendlicher beschreitet sie mit dem Studium von Tagebüchern wissenschaftliches Neuland.
1922 folgt Charlotte Bühler ihrem Mann an das neu gegründete Wiener Psychologische Institut. 1923 wird ihre venia legendi an die Universität Wien übertragen. Sie beschäftigt sich u.a. mit der Beobachtung und Erforschung des Verhaltens von Kindern in alltäglichen Situationen und macht dadurch die praxisbezogene Forschung in der Entwicklungspsychologie selbstverständlich. Gemeinsam mit Hildegard Hetzer entwickelt sie Testreihen zur Feststellung des Entwicklungsquotienten von Kindern. 1929 wird Charlotte Bühler zum a.o. Professor an der Universität Wien ernannt.
1933 bis 1935 erwirbt sich das Wiener Institut als einziges deutschsprachiges psychologisches Forschungszentrum einen internationalen Ruf, wobei die Forschungen Charlotte Bühlers zur Kinder- und Jugendpsychologie das Bild des Instituts entscheidend nach außen prägen.
Die Ereignisse des Jahres 1938 beenden die fruchtbare wissenschaftliche Tätigkeit des Ehepaares Bühler in Wien: Wegen Charlottes jüdischer Abstammung emigriert die Familie über Oslo und London in die USA. Karl und Charlotte Bühler nehmen im Jänner 1938 eine Berufung an die Fordham University in New York an. Dort wendet sich Charlotte Bühler der klinischen Psychologie sowie der Beschäftigung mit dem Erwachsenenalter zu und ist auch als Psychotherapeutin tätig. Durch ihre Auseinandersetzung mit der Lebenslaufpsychologie trägt sie wesentlich zur Etablierung der Gerontopsychologie als eigenständige Disziplin bei. Gemeinsam mit Maslow, Rogers und Goldstein begründet sie die Humanistische Psychologie.
Kurz vor ihrem Tod kehrt Charlotte Bühler nach Deutschland zurück, wo sie 1974 stirbt. Bis zuletzt ist sie wissenschaftlich tätig.
Veröffentlichungen – Auswahl
Bühler, Ch. (1922). Das Seelenleben des Jugendlichen. Versuch einer Analyse und Theorie der psychischen Pubertät. Jena: G. Fischer.
Bühler, Ch., Hetzer, H. & Tudor-Hart, B. (1927). Soziologische und psychologische Studien über das erste Lebensjahr. Jena: G. Fischer.
Bühler, Ch. (1928). Kindheit und Jugend. Genese des Bewusstseins. Leipzig: Hirzel.
Bühler, Ch. & Hetzer, H. (1929). Zur Geschichte der Kinderpsychologie. In E. Brunswik, Ch. Bühler, H. Hetzer, L. Kardos, E. Köhler, J. Krug & A. Willwoll, Beiträge zur Problemgeschichte der Psychologie. Festschrift zu Karl Bühler´s 50. Geburtstag. Jena: G. Fischer, S. 204-224.
Bühler, Ch. & Hetzer, H. (1932). Kleinkindertests. Entwicklungstests für das erste bis sechste Lebensjahr. Leipzig: Hirzel.
Bühler, Ch. (1933). Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem. Leipzig: Hirzel.
Bühler, Ch. (1934). Drei Generationen im Jugendtagebuch. Jena: G. Fischer.
Bühler, Ch. (1935). Das Wiener Psychologische Institut. Pädagogischer Führer, 85, S. 96-98.
Bühler, Ch., Baar, E., Danzinger-Schenk, L., Falk, G., Gedeon-S. & Hortner, G. (1937). Kind und Familie. Jena: G. Fischer.
Bühler, Ch. (1965). Die Wiener Psychologische Schule in der Emigration. Psychologische Rundschau, 16, S. 187-196.
Quellen
Benetka, G. (1995). Psychologie in Wien. Sozial- und Theoriegeschichte des Wiener Psychologischen Instituts 1922 – 1938. Wien: WUV.
Rollett, B. (1984). Zum 10. Todestag Charlotte Bühlers. Leben und Werk. In Psychologie in Österreich, Nr. 1-2, 4. Jg., S. 3-6.
Bild: Steinebach, Ch. (2000). Entwicklungspsychologie. Stuttgart: Klett-Cotta.